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Die Rezension zum Film „Joker“. Beim Lächeln wird es noch dunkler.

Noch vor einer kurzen Zeit war die Antwort auf die Frage „Warum hat Joger keinen eigenen Film?“ offensichtlich. Es ist furchtbar, sich die Lachanfälle in der Aufführung von Phoenix anzuschauen. Das ist doch ein Bösewicht – wie kann man über ihn einen Film machen? Wenn man sich schon scheut, die Antihelden aus „Suicide Squad“ von Warner Bros. in all ihrer Unansehnlichkeit zu demonstrieren, was soll man über einen verrückten Mörder sagen?

 

Mit der Zeit beschloss die Leitung des Studios allerdings, dem Mörderclown ein Soloprojekt zu schenken: Ob die Hartnäckigkeit von Todd Phillips ihre Rolle spielte oder sich die Popularität von „Deadpool“ und „Logan“ auswirkte, die auf das erwachsene Publikum orientiert waren. Wie dem auch sei haben wir im Endeffekt einen Film bekommen, der mit Sicherheit seinen Platz unter den maßgebenden Filmcomics in der ganzen kinematographischen Geschichte einnimmt.

 

Gotham, 1980er Jahre. Die Wirtschaft ist am Stagnieren. Die Betriebe machen Pleite, die Menschen verlieren ihre Arbeitsplätze, die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert sich bis zu apokalyptischen Maßen. Wegen des Streiks von Müllarbeitern nehmen die Müllhaufen auf den Straßen zu, und in den Gassen laufen riesengroße Ratten herum. Die Stadt wird verrückt.

 

Arthur Fleck kümmert das Ganze ganz wenig. Er ist ein kleiner Mensch und hat genug von seinen eigenen Problemen: eine handlungsunfähige Mutter, eine auswegslose Depression, eine Menge von psychischen Störungen und dazu noch unkontrollierbare Lachanfälle. Das Einzige, was sein jämmerlicher Dasein beschönigt, ist der Traum von der Karriere eines Komikers und das Lächeln der hübschen Nachbarin. Es funktioniert aber nicht, sich in seine kleine Welt zurückzuziehen: Das Schicksal schlägt Arthur mit einer besonderen Heftigkeit. Unter diesen Schlägen geht sein angebrochenes Bewusstsein endgültig auseinander, und der ruhige kranke Mensch verwandelt sich in etwas ganz unheimlich Bösartiges.

 

Die Maske von Joker in dem Film erinnert stark an die Maske eines anderen Clowns – des Serienmörders Wayne Gacy, der als Animateur auf Kinderfesten arbeitete. Mit seinem Pseudonym „Pogo“ wurde auch der Stand-Up-Club in Gotham genannt.


Als die Kritiker nach den Internationalen Filmfestspielen von Venedig sagten, dass „Joker“ an die Filme von Martin Scorsese erinnert, haben sie die Beziehung des Films mit den Werken des Meisters sogar unterschätzt. Es bleibt nicht nur bei Verweisen, Zitaten und Stil: Zwei Filmstreifen von Scorsese, „Taxi Driver“ und „King of Comedy“, dienen Todd Phillips weniger als Inspirationsquellen, aber vielmehr als Versuchsobjekte.


Der Regisseur schneidet daraus die ganzen Szenen und Handlungselemente aus, verbindet und wendet sie auf eine überraschende Weise und versieht sie mit seinen eigenen Ideen. Zum Beispiel verkörpert Robert de Niro, der die Hauptrollen in den beiden Filmen spielte, in „Joker“ ein komplettes Gegenteil von seinen Figuren. Die Figuren von De Niro sind in einem Arthur Fleck vereinigt: Er kombiniert sowohl die Eigenschaften des naiven Tagträumers Rupert Pupkin als auch die des verbissenen Alleingängers Travis Bickle.

 

All das kinematographische Metamosaik wird von Phillips auf das DC-Universum übertragen. Ja, ein alternatives und bodenständiges, aber trotzdem ein gewohnt skurriles. Hier entsteht auch eine kleine Revolution: Es stellt sich heraus, dass die Problematik und die Präsentation des respektablen Autorenfilms ganz harmonisch auf die Verfilmung von Mainstream-Comics übertragen lässt. All dieselben Dramen und Tragödien können sich auf den Straßen von fiktiven Städten unter Teilnahme von Menschen mit Masken abspielen. Das ist ein wichtiger Schritt im Kampf gegen die Meinung, dass „Bilderbücher“ sowie die Filme nach solchen Büchern für Kinder und Schwachköpfe sind.


Dabei bleibt „Joker“ ein Unterhaltungsfilm. Ja, er spielt die Werke von Scorsese an, scheut sich aber nicht, den Zuschauer zu schockieren und anzustrengen, er erzählt trotzdem eine verständliche und vielen bekannte Geschichte. Die Autoren sind einen geraden Weg gegangen, indem sie das Original von Joker so geschaffen haben, wie man ihn erwartet hat. Schauen Sie sich den Trailer an, versuchen Sie, die Handlung vorauszusagen, und wahrscheinlich werden Sie sich kaum täuschen. Die Zweitrangigkeit vom Drehbuch wird von einer blendenden Realisierung abgeschattet.

Vor der Premiere haben viele Comicfans befürchtet, dass die Filmemacher aus ihrem Lieblingsbösewicht einen romantischen Dulder und eine abermalige Quelle für Zitaten für soziale Netzwerke machen. Ja, Arthur ist eine wirklich tragische Gestalt, die Autoren tun sich aber keinen Zwang an, seine gruselige, manchmal sogar abscheuliche Natur zu demonstrieren. Der Kult um die Gestalt von Heath Ledger herum wurde auch sehr fein ausgelacht.

 

Joaquin Phoenix ist unübertrefflich, es ist auch sinnlos, es hier weiter auszumalen. Das ist eine komplexe, spektakuläre und feine Arbeit, zu der nur wenige dramatische Schauspieler fähig sind. Jemand von einem kleineren Kaliber würde alles zu Geziere und Affentheater machen lassen, aber Phoenix hat ein würdiges Schauspieltalent demonstriert, das mindestens einen Oscar wert ist. Außerdem ist es ein Theater eines Dartstellers, deshalb wird der Hauptstar von den anderen Schauspielern trotz ihres hohen Niveaus nur abgeschattet.

Technisch ist der Film fast einwandfrei. „Joker“ wurde in fabelhaften Locations gedreht, welche die Stimmung der Szenen nur betonen. Gotham sah nie so lebendig und natürlich aus, und obwohl man hier ab und zu das New York von Scorsese spürt, dominiert die Atmosphäre der düstersten Stadt vom DC-Universum trotzdem.

 

„Joker“ klingt auch überwältigend. Der Komponist von „Chernobyl“ Hildur Guðnadóttir schaffte einen Soundtrack, der nicht nur manche Episoden ergänzt, sondern er ändert manchmal sogar ihren Farbton. Sie müssen sich den schweren isländischen Namen nicht unbedingt merken – bald werden Sie ihn genau so häufig zu Ohren bekommen wie Djawadi oder Zimmer.

„Joker“ ist einer der wenigen Filme, die das Jahr 2019 nicht als einen Misserfolg für das Kino bezeichnen lassen. Das ist ein intelligenter, emotionaler und technisch hervorragender Streifen mit sehr guten Schauspielern, der die Comic-Verfilmungen weit nach vorne bringt. Der Erzfeind von Batman verdient wohl auch nicht weniger.

 

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